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Fünf Zentralschweizer Autorinnen und Autoren ausgezeichnet

Die Ausschreibung der Zentralschweizer Literaturförderung 2019/2020 stiess auf ein grosses Echo. 52 Bewerbungen wurden eingereicht, gut ein Viertel davon waren Debüts. Die fünfköpfige Jury zeichnet fünf der anonym eingegangenen Texte aus: Je einen Werkbeitrag in der Höhe von 15 000 Franken erhalten Theres Roth-Hunkeler (Baar) und Mariann Bühler (Basel/früher LU); mit einem Werkbeitrag von 7500 Franken werden die Texte von Heinz Stalder (Kriens) und Karin Mairitsch (Luzern) gefördert, Dolores Linggi (Goldau) erhält 5 000 Franken. Die Literaturförderung wird alle zwei Jahre von den sechs Zentralschweizer Kantonen gemeinsam ausgeschrieben.

«Mittelstreifen» – diesen nüchternen Titel trägt das Romanprojekt der Zugerin Theres Roth-Hunkeler (geb. 1953, wohnhaft in Baar). Dahinter verbirgt sich eine viele Familien betreffende Frage: sind Kinder dazu da, Teile des ungelebten Lebens ihrer Eltern auszuleben? Nein, sagt die Autorin anhand der Beschreibung verschiedener Beziehungen entschieden und überzeugend. Theres Roth-Hunkeler erzählt mit genauem Blick, empathisch und dem Mut, die Leserschaft einige Lücken selber schliessen zu lassen. Ein reizvoller Gegensatz zur Emotionalität des Themas ist das Lebenswerk einer der Hauptfiguren: die Begrünung der Mittelstreifen auf den Autobahnen.

Mariann Bühler (geb. 1982, wohnhaft in Basel, früher Malters) lässt uns in ihrem Romanprojekt drei Figuren folgen. Alois, Doro und Elisabeth haben eines gemeinsam: sie stehen alle vor einem Neuanfang in ihrem Leben. Alois bricht aus dem getakteten Alltag eines Bauernhofes aus, er weiss nicht, wohin ihn die Auszeit führen wird. Doro sucht Zuflucht im Ferienhaus ihrer Familie und Elisabeth muss ihre Rolle als Bäckersfrau nach dem Tod ihres Ehemannes neu überlegen. Die Leser begegnen drei Menschen, deren Geschichten geprägt sind von den Fragen des Woher und Wohin und deren Wege sich kurz und wie zufällig überschneiden. Die Autorin überzeugt durch ihre prägnante, knappe aber sehr sorgfältige Sprache und durch einen Erzählstil, der klare Bilder entstehen lässt. Gerne würden wir weiterlesen.

Im Text «Uno Due Tre» von Heinz Stalder (geb. 1939, wohnhaft in Kriens) betreten wir mit den Kinderaugen eines jungen Knaben unter der Küchenbank eine faktisch längst vergangene Welt der 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts und begegnen einer rüden, ländlichen Welt, geprägt von seelischer Engnis, unbefriedigten Glücksvorstellungen und der Flucht in manisches, rückwärtsgewandtes Erzählen von längst Vergangenem. Mit erfahrenem Handwerk und plastischer sprachlicher Prägnanz zeichnet der Autor wortgewaltig das berührende Porträt eines Bauernehepaars, das zwischen zwanghafter gegenseitiger Kränkung, gewalttätigem Verletzen der Hoftiere und schwadronierendem Fabulieren des Bauern ausweglos durch die Nöte des kargen Alltags stolpert. Einzig in seiner ungebremsten, wiederkehrenden und idealisierenden Suada auf seinen Vater, der bei der Bourbaki-Internierung dabei gewesen sein soll, scheint der seelisch verletzte Bauer etwas von der Grösse zu finden, die er weder geistig noch erotisch seiner ihn geringschätzenden Frau bieten kann. Eine kantige und bildhafte Sprache, die sich nicht scheut, die über die Zeit hinausweisenden menschlichen Abgründe zu benennen, macht diesen Text in seiner gestalterischen Verdichtung zu einem beeindruckenden sprachlichen Werk.

Karin Mairitsch (geb. 1968, wohnhaft in Luzern) erzählt uns in ihrem Manuskript «Schweizweh» die Geschichte von fünf Menschen, deren Leben geheimnisvoll miteinander verwoben sind und deren geschlechtliche und nationale Identität ins Wanken gerät. Da ist der Österreicher Jonathan, der sich von der Schweizerin Hélène getrennt hat, und da gibt es einen Toten am Strand, dessen Identität sich als Deutscharmenier herausstellt und der mit Jonathan in Verbindung gebracht wird. Mairitschs Manuskript ist dicht und mit gekonnten dramatischen Vor- und Rückgriffen geschrieben und verspricht ein nachhaltiges Lesevergnügen.

Dolores Linggi (geb. 1969, wohnhaft in Goldau) wird für ihre unter dem Titel «Föhnlage» eingereichte Lyrik ausgezeichnet. Ihre Gedichte sind vielfältig, längere erzählen fast schon eine Geschichte, während Drei- oder Vierzeiler einen Gedankenblitz oder einen magischen Moment festhalten. Wir kreisen um das Erleben von Natur, von Sonne, Regen, Wind, Wolken, Bergen – was nie romantisierend, sondern immer erlebt wirkt –, aber auch um zwischenmenschliche Beziehungen. Dolores Linggi spielt eindringlich mit der Sprache, wagt Wörter neu zu setzen und vermag betörende Stimmungen zu erzeugen. Das ist besonders mitreissend, wenn ein «lyrisches Wir» auf den Plan tritt: «(...) denn wer weiss schon / was unter unseren füssen ist / wenn der Frühling explodiert / sind wir nicht mehr zu retten».

Die Jury der Zentralschweizer Literaturförderung 2019/2020 stand unter der Leitung von Judith Kaufmann (Verlegerin). Ihr gehörten ausserdem an: Martin R. Dean (Autor), Daniela Koch (Verlegerin), Hanspeter Müller-Drossaart (Autor/Schauspieler) Britta Spichiger (Fachredaktion Literatur SRF).

Amt für Kultur


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