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Sammlung Proskauer

Von Breslau nach New York

Henry (1915-2006) und Prof. Paul Proskauer (1921-2014) wurden in Breslau (Schlesien) als Söhne des stadtbekannten Zahnarztes und sehr kulturbeflissenen Zahnmedizin-Historikers Dr. Curt Proskauer (1887-1972) und der Erna Cohn (1891-1964) geboren. Nach einer glücklichen Jugend in den 1920er und der ersten Hälfte der 1930er-Jahre ereilte die beiden Söhne und die Eltern das Unheil vieler jüdischer Familien in Deutschland nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Die Familie blieb geprägt durch das fast schon exemplarische Auswanderungsschicksal deutscher Juden in den Dreissigerjahren. Vater Curt Proskauer wurde 1938 - nach der Reichskristallnacht - während fünf Wochen im Konzentrationslager Buchenwald eingesperrt und kam mit viel Glück wieder frei. Anschliessend organisierte die Familie die Flucht aus ihrer Heimat, weil jüdische Familien vor Kriegsbeginn konsequent vertrieben wurden. Mit Hilfe des Heiligen Stuhls gelang es den Proskauers über Rom in die Vereinigten Staaten zu fliehen, wo sich die Aufnahme durch die jüdische Gemeinschaft in Manhattan sehr kühl gestaltete. In New York wurde die Familie primär als deutsche und nicht als jüdische Flüchtlinge wahrgenommen.

Der ältere der beiden Brüder, Henry Proskauer (eigentlich Hans Gerhard), studierte nach 1935 an der ETH Zürich bei Prof. Otto Rudolf Salvisberg Architektur und war zum Zeitpunkt der mehrmonatigen Flucht der übrigen Familie bereits in der Schweiz. Er folgte seiner Familie im April 1940 in die USA nach. Henry arbeitete Zeit seines Lebens als Chief Designer in einem grossen New Yorker Architekturbüro. Der jüngere der beiden Brüder, Paul Proskauer, holte in Übersee den ihm von Nazi-Deutschland verwehrten Gymnasialabschluss nach und stieg - nach einiger Zeit in der Privatwirtschaft - auf eine akademische Laufbahn ein (1966: Doktorat an der Columbia University). An deren Ende stand eine Professur für deutsche Literatur an einem renommierten College in New York. Vater Curt Proskauer erhielt nach der Ankunft in Amerika eine Stelle in einem Museum für Zahnmedizin-Geschichte. Er praktizierte nie mehr als Arzt. Weder die Eltern noch die beiden Söhne haben ihre Vertreibung aus ihrer Breslauer Heimat durch die Nazis und die unfreundliche Aufnahme in Amerika je gänzlich überwunden. Dass Curt Proskauer 1972 für seine grossen Verdienste für die Historiografie der Zahnheilkunde das Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland erhalten hat, vermag diesen Umstand nur wenig zu lindern.

Die beiden Brüder Proskauer lebten immer in derselben Wohnung in Nord-Manhattan, in die sie schon bald nach ihrer Ankunft in New York gezogen sind und mit ihren Eltern zeitlebens bewohnten. Henry und Paul waren beide unverheiratet und kinderlos. Ihr Lebensinhalt bestand weitgehend aus dem Aufbau ihrer umfangreichen und bedeutenden Bibliothek. Die grosse Affinität zu kulturellen Werten, zu Literatur und zu Kunst haben sie zweifelsohne von ihrem Vater geerbt, der in den Zwanziger- und Dreissigerjahren in enger Verbindung mit Künstlergruppen oder einzelnen bedeutenden Literaten stand und als grosser Sammler galt. Der Zahnarzt behandelte unter anderem viele bekannte Künstler und Schriftsteller, darunter z.B. den bedeutenden Expressionisten Otto Mueller (1874-1930).

Die beachtliche Kunstsammlung und Bibliothek von Vater Proskauer wurde von den Nazis beschlagnahmt und ging der Familie für alle Zeiten verloren. Die nun dem Kanton Schwyz übergebene Sammlung wurde von den Söhnen aufgebaut.

Immer wieder bereisten die Brüder Proskauer die Schweiz. Vor allem Henry Proskauer verband Erinnerungen an die Schweiz mit seiner glücklichsten Zeit im Leben, dem Architekturstudium an der ETH. Auch Paul Proskauer assoziierte den Besuch bei seinem Bruder in Zürich (1936) mit einer glücklichen und (fast) noch unbeschwerten Zeit.

Auf einer der zahlreichen späteren Reisen in die Schweiz kamen die Gebrüder Proskauer 1987 im Tessin per Zufall mit Robert Gwerder, Muotathal, in Kontakt. Aus der Begegnung entwickelte sich eine Freundschaft. Aufgrund des grossen kulturellen und bibliophilen Interesses von Henry und Paul Proskauer ergab sich ein Zusammentreffen mit Kantonsbibliothekar Werner Büeler und Staatsarchivar Dr. Josef Wiget. Die Begeisterung für Schwyz im Allgemeinen und für die Kantonsbibliothek im Besonderen förderte bei den verwandten- und kinderlosen Brüdern den Wunsch, ihre umfangreiche Büchersammlung nach ihrem Ableben dem Kanton Schwyz zu schenken. In den folgenden Jahren standen sowohl der Kantonsbibliothekar wie auch der in die Angelegenheit von allem Anfang an involvierte Staatsarchivar in telefonischem und schriftlichem Kontakt mit den Herren Proskauer.

Nach 2002 erfolgte eine intensive Korrespondenz bezüglich der technischen und konservatorischen Rahmenbedingungen für die Sammlung. Ein Anliegen der Gebrüder Proskauer war es, die Sammlung in konservatorisch vertretbarem Mass der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

Nach dem Tode des ältern der beiden Brüder, Henry Proskauer, im Dezember 2006 äusserte Prof. Paul Proskauer sein Bedürfnis, die Sammlung - entgegen ersten Vereinbarungen - noch zu seinen Lebzeiten und unter der Begleitung von Mitarbeitern des Amtes für Kulturpflege nach Schwyz zu überführen. Dieser umfangreiche und logistisch anspruchsvolle Umzug wurde im Frühwinter 2007 zur grossen Zufriedenheit von Prof. Paul Proskauer vollzogen.

Der Bestand an wichtigen Büchern zur modernen Architekturgeschichte, Musikgeschichte, angelsächsischen Literatur und zur deutschen Literatur mit Schwergewicht auf dem 20. Jahrhundert wurde der Kantonsbibliothek zugeführt. Die gesamte Bibliothek umfasst 204 Bücherkisten (33 x 33 x 43 cm) mit total ca. 8'000 Bänden.

Prof. Paul Proskauer verstarb im August 2014. Im Gedenken an die grosszügigen und zugleich bescheidenen Donatoren wurde Ende 2019 eine Gedenktafel in der Kantonsbibliothek angebracht.

Zwei Brüder - zwei Bibliotheken

Die Bibliothek ist eng mit der beruflichen Tätigkeit der Brüder Proskauer verbunden.

Henry Proskauer studierte in den Jahren 1935-1939 an der ETH Zürich Architektur. 1940 emigrierte er, wie seine Eltern kurz zuvor, in die USA. Nach schwierigen Anfangsjahren war er nach dem 2. Weltkrieg in New York als freischaffender Architekt und Designer tätig. Aus seiner Sammeltätigkeit stammen rund die Hälfte der Bücher. Mit Schwerpunkt umfassen diese die Themenbereiche Kunstgeschichte, Architektur und Theater.

Paul Proskauer emigrierte mit seinen Eltern nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Rom 1940 ebenfalls nach New York. Nach Abschluss des College und nach verschiedenen Tätigkeiten studierte er nach dem Krieg Deutsche Literatur und lehrte während 30 Jahren als Germanist am Hunter College in New York. Wie sein Bruder Henry hielt er viele Vorträge. Paul sammelte Bücher zur deutschsprachigen Literatur und Literaturgeschichte.

Nebst diesen «zwei Bibliotheken» enthält die Sammlung Proskauer einige seltene und wertvolle Werke zur Geschichte der Zahnmedizin. Sie stammen aus dem Nachlass des Vaters, Curt Proskauer, einem angesehenen Zahnarzt, der kurz vor seinem Tod (1972) für seine Tätigkeit auf dem Gebiet der Zahnheilkunde das «Grosse Bundesverdienstkreuz» der Bundesrepublik Deutschland erhielt.

Der Sammeleifer zweier Emigranten

Aus ihrer alten Heimat Breslau konnte die Familie Proskauer nur wenige Bücher mitnehmen. Die umfangreiche Sammlung entstand erst im New Yorker Exil. Trotz anfänglich bescheidenen finanziellen Verhältnissen wurden regelmässig Bücher angekauft. Die Brüder Proskauer begnügten sich früher wie im hohen Alter mit einem bescheidenen Lebensstandard. Was an Geld übrig blieb, wurde in Bücher investiert. Dabei kam ihnen entgegen, dass in den 40er und 50er Jahren deutschsprachige Titel nicht sehr gefragt waren und in den Antiquariaten auch Raritäten günstig angeboten wurden. Auch pflegten sie ein enges Beziehungsnetz mit wichtigen deutschen Verlagen. Allein in den zwei deutschsprachigen Zeitungen New Yorks, der «New Yorker Staatszeitung« und «Aufbau« besprachen sie über 200 Titel. So erhielten sie viele Rezensionsexemplare. Durch die Beziehungen zu Künstlern und Schriftstellern kamen sie zudem in den Besitz von vielen signierten und teils mit persönlichen Widmungen versehenen Büchern.

Die «Kunst- und Architekturbibliothek»

Den Schwerpunkt der umfangreichen Sammlung bilden Werke zum deutschen Expressionismus. Die Künstler dieser Epoche sind mit vollständigen Werkkatalogen und zahlreichen Monografien vertreten. Besonders wertvoll sind dabei Werke über die 1905 in Dresden gegründete Künstlergemeinschaft «Brücke» und ihre Mitglieder (Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, K. Schmidt-Rottluff, Otto Mueller, Emil Nolde, Max Pechstein). Wertvoll und selten sind auch die Werkdarstellungen über Wassily Kandinsky und Franz Marc, die 1912 den Almanach «der blaue Reiter» herausgaben. Dieser Almanach, der zu einer bedeutenden Programmschrift der Kunst des 20. Jh. wurde, ist eine Rarität und in der Sammlung in der 2. Auflage vorhanden. Reich ist auch die Literatur zur Russischen Avantgarde, die vor und nach dem 1. Weltkrieg die Entwicklung der Malerei und des Theaters in Deutschland wesentlich mitgeprägt hat.

Im Bereich Architekturgeschichte nehmen die Werke rund um das von Walter Gropius 1919 gegründete «Bauhaus» eine besondere Stellung ein. Als Architekt hatte Henry Proskauer zu diesen Büchern eine besondere Beziehung. Diese Kataloge, die für das Studium der modernen Architektur und des vom Bauhaus entwickelten Industriedesign wegweisend sind, erschienen nur in kleinen Auflagen und sind daher selten.

Die Sammlung enthält auch eine Reihe von Kunstzeitschriften. Besondere Erwähnung verdienen dabei die Titel «Das Kunstblatt» und «Genius», die kurz nach dem 1. Weltkrieg erschienen sind und Originalgraphiken enthalten.

Die Sammlung zur deutschsprachigen Literatur

Rund die Hälfte der «Sammlung Proskauer« betrifft Werke zur deutschsprachigen Literatur und Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Darunter befinden sich seltene und limitierte (Erst-) Ausgaben, z.B. von Bertolt Brecht, Carl Burckhardt, Hans Carossa, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Max Frisch, Theodor Fontane, Gerhart Hauptmann, Hermann Hesse, Hugo von Hofmannsthal, Ernst Jünger, Franz Kafka, Erich Kästner, Annette Kolb, Karl Kraus, Alfred Kerr, Thomas Mann, Heinrich Mann, Klaus Mann, Friedrich Nietzsche, Rainer Maria Rilke, Joseph Roth, Rudolf Alexander Schröder, Kurt Tucholsky, Stefan Zweig, Carl Zuckmayer u.a.m.

Von besonderer Bedeutung sind auch Werke, die von Autoren im Exil geschrieben wurden. Zu den meisten Dichtern findet sich eine reichhaltige Sekundärliteratur zum Leben und Werk.

Selten und daher von grossem ideellem und materiellem Wert sind die von namhaften Künstlern illustrierten Luxus- und Sonderausgaben. Diese oft nummerierten und handschriftlich signierten Werke sind bibliophile Raritäten.

Die Bedeutung der «Sammlung Proskauer» für die Kantonsbibliothek Schwyz

Die übernommenen Bestände stellen für die Kantonsbibliothek eine einmalige Bereicherung dar. Abgesehen vom bibliophilen und materiellen Wert können bestehende Lücken geschlossen werden. Besonders die Werke zur Kunstgeschichte sind über die Kantonsgrenzen hinaus von Interesse. Über den Online-Katalog werden die Werke für unsere Kundschaft und für auswärtige Bibliotheken zugänglich gemacht. Welche Bücher ausgeliehen werden oder nur vor Ort eingesehen werden können, ist im Einzelfall abzuklären.

Beeindruckende Bilder- und Kunstsammlung

Wesentliche Teile der Hinterlassenschaft bestehen auch aus Kunstdrucken, Grafiken, Holzschnitten, Lithographien, Aquarellen, Ölbildern und Zeichnungen bedeutender Künstler des 20. Jahrhunderts. Diese Werke sind - nach der Eigentumsüberführung auf den Kanton - dem Amt für Kulturpflege (ab 1.1.08 Amt für Kultur) zur dauernden und sicheren Aufbewahrung zugefallen.

Darunter sind Werke von: Ernst Barlach, Lovis Corinth, Erich Heckel, Hans Poelzig, Georges Braque, Lyonel Feininger, Oskar Kokoschka, Bruno Krauskopf, Pablo Picasso (Radierung 1950), Marino Marini, Max Pechstein.

Interessant sind auch die verschiedenen Autografen (handschriftliche Belege, Unterschriften berühmter Persönlichkeiten), welche sich im Laufe der umfangreichen Korrespondenzen, die von Vater und Söhnen Proskauer geführt wurden, im Nachlass befinden:

  • Theodor Heuss (erster dt. Bundespräsident),1958
  • Günter Grass (Schriftsteller), 1976
  • Albert Einstein (Physiker, Nobelpreisträger) 1950
  • Klaus Wowereit (Berliner Bürgermeister), 2003
  • Hermann Hesse (Schriftsteller), 1957
  • Hans Carossa (Schriftsteller), 1935
  • Carl Zuckmayer (Schriftsteller), o.D.

Charles Lindbergh (erster Atlantiküberflieger; Colonel mit Heldenstatus für die Amerikaner), mehrere Briefe aus den 1950er und 1960er Jahren. Lindbergh war mit Curt Proskauer freundschaftlich verbunden.

Die Sammlung der Gebrüder Proskauer wurde im Jahre 2007 gesichtet und kontrolliert. Die Aufarbeitung und Katalogisierung der Bücher durch die Kantonsbibliothek wird noch längere Zeit in Anspruch nehmen. Sie wird als Sammlung Henry & Prof. Paul Proskauer, Breslau / New York als Eigentum des Kantons geführt.

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